Klaus Hurrelmann
Prof. Dr. Dr. h.c., Bildungswissenschaftler
Hertie School - University of Governance
Friedrichstraße 180
10117 Berlin
Tel: 030 25921-9322
E-Mail: hurrelmann@hertie-school.org
Gesundheitsförderliches Verhalten im Alltag praktizieren – Warum die individuelle Kompetenz durch institutionelle Anreize unterstützt werden sollte
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn die Corona-Pandemie jetzt geliefert: Es ist lebenswichtig, ja geradezu überlebenswichtig, kompetent mit Informationen zu Gesundheit und Krankheit umzugehen. Gerade in einer Ausnahmesituation ist es von entscheidender Bedeutung, die richtigen Informationen zu finden, ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können, Sachverhalte richtig zu verstehen, deren Bedeutung zu beurteilen und sie dann gezielt auf die eigene Situation zu übertragen und die angemessenen Gesundheitsdienste abzurufen.
Kurz: Auf die „Gesundheitskompetenz“ kommt es an. Die Kernidee: Man braucht nicht nur ein Mindestniveau von Fähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens, sondern man muss in einer komplex gewordenen Gesellschaft auch für die Bewältigung von alltäglichen Lebensanforderungen gut „alphabetisiert“ sein. Das gilt auch und besonders für alles, was mit der Gesundheit zu tun hat. Um körperlich und psychisch fit zu bleiben, muss sich ein Mensch richtig ernähren, viel bewegen und seinen Tagesrhythmus angemessen auf die körperliche und psychische Konstitution abstellen. Im Falle einer Krankheit ist es notwendig, sich an der richtigen Stelle Hilfe holen zu können und sich dafür durch ein hochdifferenziertes und spezialisiertes Gesundheitssystem hindurch zu navigieren.
Wer eine geringe Gesundheitskompetenz hat, verhält sich objektiv ungesünder und schätzt subjektiv seine Gesundheit schlechter ein. Die Folge hiervor machen sich in Übergewicht, vermehrtem Tabak- und Alkoholkonsum und einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Fehltagen am Arbeitsplatz bemerkbar. Das wiederum führt zu einer übermäßig häufigen Nutzung der Angebote des Gesundheitssystems, also vermehrten Krankenhaus- und Artbesuchen, ist aber gleichzeitig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, die Informationen und Empfehlungen des medizinischen und des Pflegepersonals richtig zu verstehen. Ein unbefriedigender Kreislauf.
Um dieser fatalen Entwicklung gegenzusteuern, wurde vor drei Jahren ein „Nationalen Aktionsplan zur Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland“ erarbeitet. Der Referent gehört zu den Experten, die den Plan erstellt haben.
Die Kernerkenntnis: Wie gesund ein Mensch ist, hängt sehr stark von seiner persönlichen Fähigkeit ab, sich mit den zur Verfügung stehenden Informationen über Gesundheit und Krankheit auseinanderzusetzen. Es kommt auch darauf an, dass neben der eigenen Bildung, die zu einer gesundheitlichen Motivation und Überzeugung führt, auch ein Angebot für das gesundheitliche Verhalten gemacht wird. Mit den Worten der Weltgesundheitsorganisation sollte die einfachere Alternative zur gesunderen Alternative werden. Oder zugespitzt gesagt: Überzeugung und Druck müssen zusammenkommen – nur dann kann sich die persönliche Gesundheitskompetenz entfalten.
Vita
Klaus Hurrelmann wurde 1944 geboren. Er studierte in Münster, Berkeley und Freiburg. Er ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Jugend-, Sozialisations-, Bildungs- und Gesundheitsforschung. Er wurde 1975 zum Professor an der Universität Essen ernannt und wechselte 1979 an die Universität Bielefeld. Seit 2009 arbeitet er als Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Er ist Senior Expert am Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (fibs) in Berlin.
Hurrelmann hat, teilweise in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen, zahlreiche Lehrbücher vorgelegt, darunter „Einführung in die Sozialisationstheorie“, „Lebensphase Jugend“, „Kindheit heute“ und „Gesundheits- und Medizinsoziologie“. Außerdem ist er Mitherausgeber umfangreicher Handbücher zur Sozialisationsforschung, Jugendforschung und Präventions- und Gesundheitsforschung. Mehrere dieser Publikationen sind auch in englischer Sprache erschienen. Ein Schwerpunkt aller seiner Arbeiten ist die Analyse sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten und die Unterstützung benachteiligter Kinder und Jugendlicher.
Hurrelmann leitete verschiedene Familien,- Kinder- und Jugendstudien, zuletzt zur Berufsorientierung von Jugendlichen und zum Finanzverhalten von jungen Erwachsenen. Er gehört seit 2002 dem Leitungsteam der Shell Jugendstudien an war Mitbegründer der World Vision Kinderstudien.
Von 1986 bis 1998 leitete er den Sonderforschungsbereich „Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und baute das "Collaboration Centre for Child and Adolescent Health Promotion" im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf. Er war von 1980 bis 1983 erster Dekan der Fakultät für Pädagogik und von 1994 an Gründungsdekan der ersten School of Public Health in Deutschland, der Fakultät für Gesundheitswissenschaften, beides an der Universität Bielefeld.
Aus seiner internationalen Forschungsarbeit ergaben sich Gastprofessuren für Soziologie an der New York University (USA) für Public Health an der University of California in Los Angeles (USA). 2018 erhielt er den Titel eines Ehrendoktors der PH Freiburg.