Einsamkeit überwinden

Einsamkeit betrifft immer mehr junge Menschen – vor allem in Zeiten des Umbruchs. Warum das Gefühl entsteht, wann es belastend wird – und was wirklich hilft, um wieder Nähe zu finden.

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Einsamkeit betrifft immer mehr junge Menschen – vor allem in Zeiten des Umbruchs. Warum das Gefühl entsteht, wann es belastend wird – und was wirklich hilft, um wieder Nähe zu finden.

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Wenn Nähe fehlt: Wer ist betroffen?

Du bist gerade ins Studium gestartet, hast eine Trennung hinter dir, ziehst in eine neue Stadt oder steckst mitten im Berufsstart? Vielleicht blickst du dieser neuen Lebensphase mit viel Vorfreude und Aufregung entgegen. Vielleicht macht sie dir aber auch etwas Angst: Wie ist es, zum 1. Mal allein in einer fremden Stadt zu wohnen? Werde ich ohne meine Freund*innen, meine Eltern oder meine Partnerin bzw. meinen Partner klarkommen? Was, wenn ich keinen Anschluss finde?

Fakt ist: Junge Menschen in Übergangsphasen sind besonders häufig von Einsamkeit betroffen. Das spiegelt sich auch in der Forschung wider, so Dr. Anja Langness, Senior Project Manager Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung in unserem Podcast „Jetzt mal ehrlich”: „Wir haben festgestellt, dass das Gefühl von Einsamkeit bei 19- bis 22-Jährigen besonders stark ausgeprägt ist. Wir können nicht genau sagen, warum, aber wir vermuten, es liegt daran, dass ein neuer Lebensabschnitt stattfindet, dass da nicht sofort wieder enge und vertrauenswürdige Beziehungen sind – mit Leuten, auf die man sich wirklich verlassen und mit denen man alles besprechen kann.“ Das heißt aber auch: Einsamkeit kann phasenweise zwar zum Leben dazugehören, muss aber kein Dauerzustand sein.

Zahlen und Fakten

Das Einsamkeitsbarometer 2024 des Familienministeriums zeigt: 14 % der 18- bis 29-Jährigen gelten als stark einsam. Vor der Pandemie (2017) waren es nur 8,6 %. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fühlen sich 51 % der 18–35-Jährigen in Deutschland mind. mäßig einsam, 12 % sogar stark. Europaweit sind es noch mehr: Rund 52 % geben an, sich einsam zu fühlen. Einsamkeit ist also längst kein Thema älterer Menschen mehr – sie betrifft besonders junge Erwachsene, die sich in Übergangsphasen befinden.

„Besonders interessant ist, dass dieses Gefühl von Einsamkeit bei jungen Menschen besonders stark nach der Pandemie aufgetreten und nicht wieder zurückgegangen ist – wie beispielsweise bei älteren Menschen. Bei den Jüngeren haben wir eigentlich ein bestehendes Gefühl von Einsamkeit. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, kein individuelles“, so Dr. Langness.

Woran das liegen könnte, erklärt sie wie folgt: „Die Corona-Zeit war ein wichtiger Lebensabschnitt für die heute 15- bis 30-Jährigen, in dem es eigentlich wichtig ist, sich nach außen zu orientieren, sich vom Elternhaus loszulösen, seine eigenen Kontakte zu knüpfen und stabile soziale Beziehungen außerhalb des Elternhauses aufzubauen. Das hat für viele nicht stattgefunden, weil sie zu Hause waren, auf sich allein gestellt oder mit den Eltern und Geschwistern. Wir gehen davon aus, dass dadurch soziale Kompetenzen nicht so stark ausgeprägt wurden – und dass es deshalb nicht besser geworden ist.“

Expertin Dr. Anja Langness

Expertin für die Themen Bildung und Next Generation

Dr. Anja Langness ist Senior Project Managerin für die Themen Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie an Projekten wie „Einsamkeit junger Menschen“, „Junge Menschen und Gesellschaft“ oder „Jugend und Nachhaltigkeit“.

Was ist Einsamkeit eigentlich?

Einsamkeit ist kein messbarer Zustand, sondern ein Gefühl. Sie entsteht, wenn das Bedürfnis nach Nähe, Vertrauen oder Zugehörigkeit nicht erfüllt wird. Unabhängig davon, wie viele Menschen dich umgeben.

  • Emotionale Einsamkeit: Dir fehlt eine enge Bindung zu einer Person, mit der du dich über deine innersten Gefühle und Gedanken austauschen kannst und von der du dich verstanden fühlst. Etwa eine Partnerin bzw. ein Partner oder eine beste Freundin bzw. ein bester Freund.
  • Soziale Einsamkeit: Dein Netzwerk ist klein oder instabil, du fühlst dich nicht eingebunden und hättest gern mehr Kontakt zu anderen für gemeinsame Aktivitäten.
  • Kulturelle Einsamkeit: Du hast das Gefühl, nicht dazuzugehören, z. B. nach einem Umzug, im Ausland oder als Teil einer Minderheit.

Ein Gefühl von Einsamkeit kann auch dann aufkommen, wenn du eigentlich unter Leuten bist, z. B. unter Freund*innen oder in einer Beziehung. Wenn Nähe fehlt, Gespräche oberflächlich bleiben oder sich jemand nicht gesehen fühlt, entsteht emotionale Distanz.

Mach dir bewusst: Alleinsein bedeutet nicht gleich, einsam zu sein. Wer Zeit mit sich selbst verbringt, kann reflektieren, sich erholen und wachsen. Erst wenn die Verbindung zu anderen dauerhaft fehlt, wird aus Alleinsein Einsamkeit.

Social Media: Gemeinsam einsam?

Ein weiterer wichtiger Faktor für Einsamkeit kann Social Media sein. Plattformen, die eigentlich verbinden sollen, können auch das Gegenteil bewirken. Likes und Stories erzeugen vermeintliche Nähe auf Knopfdruck – aber eben nur virtuell, mit räumlicher Distanz.

Der ständige Vergleich mit anderen kann das Gefühl verstärken, selbst nicht dazuzugehören.

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Jetzt mal ehrlich – Der Realtalk-Podcast

Hey, kennst du eigentlich schon unseren Podcast „Jetzt mal ehrlich“? In der Folge „Einsamkeit – Allein unter Menschen“ sprechen die Expertin Dr. Anja Langness und der Betroffene Anton Weil darüber, wie Einsamkeit entsteht, wie sie sich anfühlt und was sie mit uns als Gesellschaft macht.

Macht Einsamkeit krank?

Einsamkeit ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl, sie kann auch körperlich und psychisch krank machen. Studien deuten darauf hin, dass dauerhafte soziale Isolation mit erhöhten Stresshormonen, einem geschwächten Immunsystem und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängen kann.

Psychisch kann Einsamkeit zu Depressionen, Angststörungen und Schlafproblemen führen, in extremen Fällen auch zu Suchtverhalten oder Selbstwertverlust.

Manche Forscher*innen vergleichen die gesundheitlichen Folgen sogar mit dem Rauchen: Einsamkeit sei so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag. Das ist kein exakter medizinischer Wert, aber ein eindrückliches Bild dafür, wie stark soziale Verbundenheit unsere Gesundheit beeinflusst.

Wege aus der Einsamkeit

Einsamkeit zeigt sich oft schleichend: Du ziehst dich zurück, verabredest dich seltener, zweifelst an dir selbst. Manchmal besteht der 1. Schritt darin, ehrlich hinzuschauen und das Gefühl der Einsamkeit nicht mehr zu verdrängen.

Einsamkeit lässt sich nicht von heute auf morgen lösen, aber du kannst ihr entgegenwirken. Fang klein an:

  • Sage im Supermarkt bewusst „Hallo“ zu Mitarbeiter*innen.
  • Suche Blickkontakt oder lächle Menschen an.
  • Schreibe 3 Personen, mit denen du lange keinen Kontakt hattest.
  • Setze dir kleine, erreichbare Ziele, z. B. ein Treffen pro Woche.

Wenn du schüchtern bist, helfen einfache Gesprächseinstiege: „Wie war dein Tag?“, „Wie geht’s?“ oder „Was gibt’s Neues?“

Gemeinsame Interessen verbinden. Melde dich z. B. für einen Mal-, Töpfer- oder Sprachkurs an, tritt einem Sportverein bei oder engagiere dich ehrenamtlich.

  • In unserer Präventionsdatenbank findest du Gesundheits- und Sportkurse in deiner Nähe. Ganz easy.
  • Wie wär’s mit Freiwilligenarbeit? Plattformen wie vostel.de helfen dir, passende Projekte zu finden.
  • Um dich innerhalb deiner Nachbarschaft zu connecten, schau mal bei nebenan.de vorbei.

Gedanken wie „Mich mag eh niemand“ oder „Ich bin komisch“ sind typische Begleiter von Einsamkeit. Versuche, sie zu hinterfragen: Stimmt das wirklich? Welche Beweise gibt es für das Gegenteil? Hilfreich sind Übungen wie ein Dankbarkeitstagebuch, tägliche Affirmationen oder kleine Erfolgseinträge wie: „Heute habe ich jemandem zugelächelt – und sie (bzw. er) hat zurückgelächelt.“

Struktur hilft gegen Grübeln. Achte auf ausreichend Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten und Bewegung – am besten an der frischen Luft. Und: Alleinzeit ist kein Makel. Sie kann eine Ressource sein, um dich selbst besser kennenzulernen und unabhängig von der Anerkennung anderer zu werden.

Wann professionelle Hilfe wichtig ist

Wenn Einsamkeit über Wochen anhält, du dich antriebslos, ängstlich oder dauerhaft traurig fühlst, suche dir Unterstützung. Du musst da nicht allein durch.

Mögliche Anlaufstellen:

  • Telefonseelsorge: Mit der Telefonseelsorge kannst du telefonieren, mailen oder chatten. Du erreichst sie unter 0800 111 0 111 / 0800 111 0 222 oder 116 123.
  • Novego: Das Psycholog*innenteam unserer Online-Hilfe unterstützt dich schnell und kostenlos bei psychischen Belastungen und in Lebenskrisen.
  • Hausärzt*in oder Psycholog*in: Sie können einschätzen, ob eine Therapie sinnvoll ist.

„Das Stigma rund um das Thema Einsamkeit ist wahnsinnig hoch. Niemand möchte gerne zugeben, dass sie oder er einsam ist. Das ist ein absolutes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Es ist ein Wert, besonders viele Freund*innen zu haben, viele Leute zu kennen, gut connected zu sein – beruflich und privat. Ich glaube, dass wir alle daran arbeiten sollten, dieses Stigma aufzubrechen und zu sagen: Es ist kein Drama. Jede*r fühlt sich mal einsam“, appelliert Dr. Langness.

Also lasst uns gemeinsam das Tabu aufbrechen: Früh Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Schritt in die richtige Richtung.

Illustration einer Frau, die alleine am Tisch sitzt

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