Geburtstrauma: Ein Erlebnis mit Folgen

Die Geburt eines Kindes ist für viele der schönste Moment im Leben. Doch manchmal kommt es im Kreißsaal zu Vorfällen, die Gebärende als gewaltsam erleben. Das kann ein Geburtstrauma auslösen, das Mütter seelisch belastet.

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Die Geburt eines Kindes ist für viele der schönste Moment im Leben. Doch manchmal kommt es im Kreißsaal zu Vorfällen, die Gebärende als gewaltsam erleben. Das kann ein Geburtstrauma auslösen, das Mütter seelisch belastet.

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Definition und Häufigkeit

„Nach der Geburt sind alle Schmerzen und Anstrengungen vergessen“ – nicht jeder gut gemeinte Ratschlag ist auch immer wahr. Denn: Diese Weisheit gilt nicht nach jeder Geburt. Sie trifft z. B. dann nicht zu, wenn du während der Entbindung respektlos, entwürdigend und übergriffig behandelt wurdest oder sogar physische Gewalt erfahren hast. Dann spricht man von einer gewaltsamen Geburtserfahrung, die zu einem Trauma führen kann.

Ein Trauma ist eine seelische Verletzung, die durch ein belastendes Ereignis ausgelöst wird und die nur langsam bewältigt werden kann. Je nach Studienlage haben 10-30 % der Mütter die Geburt ihres Kindes als traumatisch erlebt. Etwa 5 % entwickelten sogar eine posttraumatische Belastungsstörung.

Neben gewaltsamen medizinischen Eingriffen können auch unvorhergesehene Komplikationen, lange Geburtsverläufe, Früh- und Sturzgeburten sowie Notkaiserschnitte das Risiko für ein Geburtstrauma erhöhen. Für ein Geburtstrauma ist es entscheidend, wie du die Situation der Geburt erlebt hast, nicht, wie sie objektiv war. Ein Geburtstrauma kann dich lange beschäftigen und auch zu einer postpartalen Depression führen. Manche Frauen schaffen es, das Trauma innerhalb mehrerer Monate selbst zu bewältigen, andere brauchen Unterstützung bei der Aufarbeitung.

Gewalterfahrung im Kreißsaal

Gewalt im Kreißsaal kann sich auf viele Arten äußern und zu körperlichen und seelischen Verletzungen führen. Viele Frauen berichten von einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Es entsteht vor allem dann, wenn Hebammen oder Ärzt*innen wenig bis gar nicht kommunizieren und aufklären. So kommt es vor, dass medizinische Eingriffe, etwa der Einsatz der Saugglocke, der Kaiserschnitt oder der Kristeller-Handgriff, ohne Absprache erfolgen und Frauen sich ausgeliefert fühlen. Beim Kristeller-Handgriff wird Druck auf den Oberbauch der Gebärenden ausgeübt, um die Geburt zu beschleunigen. Das kann sehr schmerzvoll sein und ist umstritten.

Auch wenn du den Eindruck hast, dass deine Bedürfnisse nicht gehört oder Schmerzen einfach ignoriert werden, kann das eine gewaltsame Erfahrung sein. Zudem gibt es verbale Gewalt: Wenn also Hebammen oder Ärzt*innen herablassend oder entwürdigend mit dir sprechen oder abwertende Kommentare äußern. Wer das während der Geburt erlebt, fühlt sich nicht wie eine handelnde Person, sondern wie ein Objekt. Das schildern Betroffene als besonders belastend.

Gründe für Gewalt im Kreißsaal

  • Zeitdruck und Personalmangel: Auf Geburtsstationen gibt es – besonders wenn viele Gebärende auf einmal zu betreuen sind – häufig zu wenig Personal. Das führt zu Zeitdruck und dazu, dass die Bedürfnisse von Patientinnen nicht ausreichend beachtet werden. Die Fachkräfte treffen die Entscheidungen dann häufig so, dass es in ihren Ablauf passt.
  • In der Geburtshilfe muss manchmal schnell reagiert werden, um Gefahren für Mutter und Kind abzuwenden. Die Gebärende weiß oft nicht, was gerade entschieden wird und warum.
  • Das Machtgefälle zwischen medizinischem Personal und Patientin: Gebärende sind in einer verletzlichen Position und müssen sich oft den Entscheidungen der Fachkräfte beugen.
  • Unzureichende Kommunikation: Häufig werden den Frauen Entscheidungen und Eingriffe nicht genügend erklärt, sondern einfach durchgeführt. Dies kann bei dir das Gefühl auslösen, dass du die Kontrolle verloren hast.

Ein Tabuthema

Über glückliche Mütter wird viel berichtet, über Gewalterfahrungen im Kreißsaal dagegen kaum. Geburtstraumata gehören zu den Tabuthemen. Und so sprechen viele betroffene Frauen nicht über ihre Erfahrungen und suchen sich keine professionelle Hilfe. Auch viele medizinische Fachkräfte sind über die Ursachen und Folgen von Geburtstraumata nicht genügend aufgeklärt. Das wäre wichtig, zusätzlich zu einer besseren Personalsituation und Arbeitsbedingungen, damit sich in den Kreißsälen etwas am Umgang mit den Gebärenden ändert.

Geburtstraumata: Symptome und Spätfolgen

Du denkst lieber nicht an die Geburt zurück und vermeidest alles, was dich daran erinnert? Bei dem Gedanken an eine erneute Schwangerschaft und Geburt kommt Angst in dir hoch? Das können Hinweise darauf sein, dass du ein Geburtstrauma erlitten hast. Ein solches Vermeidungsverhalten tritt dann häufig auf. Auch Albträume, Angstzustände, Depressionen sowie Schuld- und Schamgefühle können sich einstellen. Betroffene leiden unter Selbstwertstörungen und Selbstzweifeln und können sich aus den negativen Gedankenspiralen kaum selbst befreien.

Besonders traurig: Das Erlebnis kann auch Folgen für deine Beziehung zum Baby haben. Viele Frauen berichten nach einer traumatischen Geburtserfahrung davon, dass sie Probleme haben, eine emotionale Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Es kommt zu Schwierigkeiten beim Stillen oder Ängstlichkeit im Umgang mit dem Kind, zu Überforderung und Hilflosigkeit. Die psychische Belastung kann dann zu einer Zerreißprobe für die Partnerschaft und die ganze Familie werden. Sie kann sogar eine postpartale Depression oder Angststörungen auslösen.

Das Trauma verarbeiten

Der 1. Schritt und auch der schwierigste ist es, dir einzugestehen, dass du negative Erfahrungen gemacht hast und diese nicht verarbeiten kannst. Dann kannst du dich öffnen und beginnen aufzuarbeiten. Niemand muss allein mit der Erfahrung einer gewaltsamen Geburt fertigwerden. Manchen Frauen hilft es bereits, das Erlebte mit anderen zu teilen, andere brauchen professionelle Unterstützung.

Was Betroffenen hilft, ist individuell verschieden. Auch das Tempo, in dem du die Ereignisse aufarbeitest, hängt von vielen Faktoren ab. Es ist ein Prozess, bei dem vermutlich eine seelische Narbe bleiben wird. Du kannst aber lernen, die Erlebnisse nach und nach ins Leben zu integrieren. Wenn du das vor einer erneuten Schwangerschaft schaffst, umso besser. Das können erste Maßnahmen sein:

Sprich mit deiner Hebamme oder einer anderen vertrauten Person über die Erlebnisse während der Geburt, die dich traumatisiert haben bzw. die du nicht vergessen kannst. Das hilft deinem Gehirn, das Ereignis so nachzuzeichnen, wie es stattgefunden hat. Wer schweigt, riskiert, dass die Erinnerungsfragmente nicht verbunden werden und Symptome wie Angst und Unsicherheit bleiben. Wähl ein vertrauensvolles, empathisches Gegenüber, das zuhört und nicht sofort beschwichtigt.

Der Berliner Fragebogen zu Auswirkungen von Traumatisierungen während der Geburt hilft dabei einzuschätzen, ob du traumatisiert bist. Die Ergebnisse kannst du dann mit Hebammen, Gynäkolog*innen oder Hausärzt*innen besprechen.

Um den Geburtsverlauf und die Abfolge der Ereignisse nachzuvollziehen, kann es helfen, wenn du den Geburtsbericht liest. Jede Frau hat das Recht, das sogenannte Geburtsjournal einzusehen. Du kannst es bei deiner Klinik anfordern.

Der Verein Mother Hood e. V. hat ein Hilfetelefon für Frauen eingerichtet, die eine schwierige Geburt erlebt haben. Hier gibt es auch Informationen über die möglichen nächsten Schritte.

Bei Familienberatungen wie ProFamilia sitzen Expert*innen, mit denen du über das Erlebte sprechen kannst.

Dem Trauma vorbeugen

Es gibt leider keine Anti-Trauma-Garantie, aber es gibt ein paar Dinge, die du tun kannst, damit du dich sicherer, selbstbestimmter und gehört fühlst.

  • Such dir eine Beleghebamme. Sie begleitet dich während der Schwangerschaft sowie im Wochenbett und ist im Kreißsaal immer an deiner Seite. Das hilft dir, wenn du nicht mit einer dir fremden Hebamme gebären möchtest oder Probleme mit dem Schichtwechsel hättest. Die Kosten für den Bereitschaftsdienst der Beleghebamme trägst du selbst, es gibt aber einen Zuschuss von der Pronova BKK.
  • Sprich mit deiner Begleitperson darüber, wie du dir die Geburt vorstellst und was du möchtest. Im besten Fall kann sie dafür sorgen, dass deine Wünsche respektiert werden und Übergriffe verhindern.
  • Vielleicht ist ein Geburtsplan etwas für dich. In diesem hältst du deine Wünsche rund um die Geburt fest und besprichst sie vorher mit den Hebammen und Ärzt*innen. Dann kennen sie deine individuellen Bedürfnisse und wissen um die sensiblen Punkte.
  • Arbeite vergangene traumatische Geburten auf. Dann kannst du befreiter in den Kreißsaal gehen.

Mentale Gesundheit

Unkomplizierte Hilfe bei psychischen Belastungen

Wenn du in einer Krise steckst oder an psychischen Symptomen leidest und das Gefühl hast, alleine nicht mehr klar zu kommen, kannst du dich als Pronova BKK Versicherte*r kostenlos beim Online-Programm Novego anmelden. Das Psychologenteam ist darauf spezialisiert, dich in deiner Situation zu unterstützen.